Freitag, 28. März 2014

Wünschen sich “Gothic-Eltern” eigentlich “Gothic-Kinder”?

In seiner letzten Wochenschau stellte Robert von Spontis diese Frage unter Bezugnahme auf meinen letzten Blogpost "Ist ja nur 'ne Phase..." und schrieb: "Ich meine, das mitschleifen auf Konzerte und schwarze Veranstaltungen suggeriert doch eine gewollte Konditionierung, oder?" 

Ich denke zum einen, daß sich alle Eltern in erster Linie gesunde, glückliche Kinder wünschen. Klingt abgedroschen, aber es ist keine Selbstverständlichkeit, ein gesundes Kind zu zeugen und zu einem lebenstüchtigen Erwachsenen großziehen zu dürfen. Zum anderen stellt jede Art von Erziehung eine mehr oder weniger beabsichtigte Konditionierung dar. Ob es jedoch klappt, daß der Nachwuchs in die elterlichen Fußstapfen tritt, falls gewünscht, ist eine ganz andere Sache.

Quelle: http://www.toonpool.com/user/14830/files/adventskalender_1070025.jpg


Was die Werte angeht, die Goth-Eltern ihren Kindern vermitteln, und die Frage, was man seinem Nachwuchs auf dessen Lebensweg mitgibt, so ergeben sich möglicherweise einige Unterschiede im Vergleich zu den Zielsetzungen von Stino-Eltern, die ihren Nachwuchs auf größtmögliche Anpassung - nur ja nicht auffallen und provozieren! - trimmen wollen.

Kinder von Goth-Eltern bewegen sich im Grunde in zwei verschiedenen Welten: in der schwarzen ihrer Eltern (oder eines Elternteils) und der bunten außerhalb. Mag es jüngeren Kindern nicht bewußt sein, daß sich Mama und Papa von Kleingrufti anders kleiden als die Eltern von Kleinstino, irgendwann wird es auffallen. Wie die Kinder später mit ihren Mitmenschen umgehen, die nicht in das Bild passen, das durch ihr Elternhaus geprägt wurde, hängt von ihrer Erziehung ab und von den Erfahrungen, die sie mit Andersartigen machen konnten. Was das angeht, sind Kinder von Goth-Eltern m.E. eindeutig im Vorteil, denn sie lernen von frühester Jugend an beide Seiten kennen und damit umzugehen. Für sie ist es normal, daß Mama und/oder Papa anders sind als andere und daß es die gibt, die Hellbunten, ist auch vollkommen in Ordnung. Äußerlichkeiten spielen für kleine Kinder ohnehin kaum eine Rolle.

Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da die Eltern nicht mehr das Zentrum des kindlichen Universums bilden und der Nachwuchs sich und seine Umwelt - vornehmlich die gleichaltrigen Klassenkameraden - stärker in den Fokus rückt. Nun ist man als Erziehende(r) besonders gefordert. Es war die Phase gegen Ende der Grundschule bzw. um den Wechsel zur weiterführenden Schule herum und während der ersten beiden Schuljahre dort, da ich mir häufiger die Frage stellte: was möchte dein Kind und was möchtest du für dein Kind? Daß sich meine Tochter zu dieser Zeit sehr an ihren Klassenkameraden orientierte, um zur Clique der beliebten Schüler zu gehören, behagte mir nicht wirklich. Sie war damals unglücklich mit ihrer Außenseiterrolle, wollte unbedingt dazu gehören. Was macht man also als "Gothmum", die diesen Wunsch so gar nicht nachvollziehen kann?
Man stärkt seinem Kind den Rücken. Fragt, wieso es denn so wichtig sei, sich mit den tonangebenden Leuten in der Klasse zu befreunden, und was man mit diesen gemeinsam habe. Wieso sie sich an deren Maßstäben messe? Und was an diesen Typen und deren Verhalten so nachahmenswert sei?

Meine Tochter hat es nie geschafft, sich in diese Gruppe zu integrieren. Warum? Weil sie anders ist...
Töchti hat nämlich rasch erkannt, daß sie gar nichts mit ihren ach, so beliebten Klassenkameraden gemeinsam hat und daß die Art, wie diese Typen Leute behandeln, die nicht in ihr Weltbild passen, alles andere als von Freundlichkeit und Toleranz geprägt ist. Die Freunde, die meine Tochter mittlerweile gefunden hat, sind im Grunde ebenso Außenseiter wie sie. Und sie verteidigt ihre Freunde gegen die teilweise wirklich bösartigen Angriffe ihrer Mitschüler. Ja, so habe ich mir meine Kinder gewünscht! Und darauf bin ich stolz.

Ich bin stolz auf meine beiden Kinder, die das Rückgrat haben, sich gegenüber der Mehrheit zu behaupten. Natürlich provozieren sie - sei es durch ihr Äußeres, ihre Kleidung oder ihre Haltung und Einstellung -, aber Provokation ist ja nicht unbedingt etwas Negatives! Provokation rüttelt auf und regt einen im besten Fall zum Nachdenken an, zum Diskutieren und zum Kennenlernen unterschiedlicher Standpunkte.
Die Klassenlehrerin meines Sohnes glaubt leider jedoch, daß Anpassung der einzige Weg zum Lebensglück sei und ersuchte uns schriftlich, auf ihn einzuwirken, "neutrale Kleidung" in der Schule zu tragen.

Was so etwas Unerhebliches wie Kleidung angeht, so sind wir der Meinung, daß unsere Kinder selbst entscheiden können und sollen, was sie anziehen und worin sie sich wohlfühlen. Ich würde meiner Tochter z.B. allerdings nie so offenherzige Kleidungsstücke erlauben, die nach Babystrich schreien und teilweise bereits von Zwölfjährigen getragen werden, oder meinem Sohn ein Thor-Steinar-T-Shirt. Wenn andere Eltern das ihren Kindern gestatten, ihr Ding!

Zurück zur Frage, ob sich Gothic-Eltern Gothic-Kinder wünschen.
Was mich angeht, würde ich diese Frage mit einem klaren "Jein!" beantworten. :D
Das Wichtigste für meinen Mann und mich ist, daß die Kinder mit dem, was sie sind, was sie tun und was sie erreichen, zufrieden sind. Mir ist es gleich, welche Musik meine Kinder hören, wie sie sich kleiden (innerhalb bestimmter Grenzen, s.o.) und ob sie sich die Haare schwarz färben oder nicht. Aber mir ist ist nicht egal, wie sie mit sich, ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt umgehen. Ich versuche meinen Kindern Offenheit und Neugier Fremdartigem gegenüber zu vermitteln; Höflichkeit und Sensibilität im Umgang mit anderen Leuten sind mir sehr wichtig.
Ich habe mir Kinder mit starken Persönlichkeiten gewünscht, die selbstbewußt genug sind, Dinge zu hinterfragen, sich ihre eigene Meinung zu bilden und zu vertreten und nicht, nur um nicht aufzufallen, Mitglieder einer Hammelherde werden, wo man eigentlich nur Ärschen nachrennt...
Da diese Haltung für mich einen bedeutenden Teil des Gruftiseins ausmacht, habe ich mir zumindest, was diesen Part angeht, wohl doch Grufti-Kinder gewünscht...

2 Kommentare:

  1. Schön, wie differenziert du das betrachtest! Ich bin meiner (Stino) Mutter sehr dankbar, dass sie alle meine Freunde immer freundlich angenommen hat, egal ob diese haarige, stinkende Metaller, Gruftipoeten oder Wallewalle-Hexen waren. Und dass sie -nach einem ersten Schock bei der allerersten Färbung- auch bunte Haare, schwarze Klamotten und meine provokante Persönlichkeit akzeptiert und geliebt hat.

    Falls ich mal Kinder habe, will ich genau so sein! ^^

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  2. Ich finde deine Worte sehr schön.
    All das, was du beschrieben hast, sehe ich genauso.
    So sollten Eltern sein, egal ob Grufti oder nicht. Obwohl ich denke, dass viele Grufti-Eltern (oder auch andere "andersartige" Eltern) eher zu dieser Einstellung und Weltanschauung neigen und diese auch sinnvoll an ihre Kinder vermitteln können.
    Wieso über den Tellerrand sehen, wenn es im Teller so bequem ist? Und genauso werden dann auch die Kinder...

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