Mittwoch, 10. Februar 2016

Gothic Friday: Wie bist du in die Szene gekommen?

Im Rahmen des Gothic Fridays – was das ist, könnt ihr HIER nachlesen - wurde auf spontis.de die Frage gestellt: „Wie bist du in die Szene gekommen?“
Um meinem Blog mal wieder ein wenig Leben einzuhauchen, möchte ich den GF Februar zum Anlaß nehmen, über meine Anfänge in der schwarzen Szene zu sinnieren und zu rekapitulieren, wie dort hineingeschlittert bin. Über das Wie und Warum habe ich mich eigentlich schon ausführlich in diesem Blog ausgelassen, daher stellt dieser Post eigentlich nur eine ultrakurze Zusammenfassung für den GF dar. Dazu habe ich einige Erinnerungssplitter zusammengetragen und mein jüngeres Ich befragt, an was es sich sonst noch so erinnern kann - abgesehen von den Erlebnissen, die man in älteren Posts hier nachlesen kann.

Eigentlich muß ich ziemlich weit in der Zeit zurückgehen. Nämlich in die 70er Jahre des letzten Jahrtausends, denn da fing alles an...

Einen gewissen Hang zu morbiden Themen und Friedhöfen hatte ich immer schon. Das war die Schuld von Tante Ella, die auf mich aufpasste, während meine Eltern zur Arbeit gingen. Tante Ella war Witwe und sie nahm mich regelmäßig zum Grab ihres verstorbenen Mannes mit. Friedhöfe fand ich spannend, vor allem, als Tante Ella mir erklärte, warum man die Toten dort beerdigte und was mit den bestatteten Körpern geschah. Kleine Kinder stellen die seltsamsten Fragen und wollen alles genau wissen. Da war ich keine Ausnahme. Und Tante Ella gab mir konkrete und ausführliche Antworten.
Die Vorstellung, daß Würmer an einer Leiche herumknabberten und sich der Tote langsam, aber sicher zersetzte, erfüllte mich mit wohligem Schauer. Aber was passierte, wenn man aus Versehen einen lebendigen Menschen beerdigte? Und was geschah überhaupt, wenn ein Mensch starb?
Ja, über solche Dinge sprachen Tante Ella und ich...

Wirklich losgelassen hat mich die Faszination für diese Thematik, für die Dunkelheit, die Nacht und all die Wesen, die diese bevölkern, nie. Im Grunde beschäftige ich mich seit meiner frühesten Kindheit damit: angefangen mit Spuk- und Gruselsammelbänden und Comics im zarten Grundschulalter, über klassische Vampirgeschichten, Romane von Stephen King, Horrorfilme (kein Splatter!) bis hin zu philosophisch-religiösen Fragen nach dem Leben nach dem Tod, nach dem Jenseits, nach Reinkarnation etc. Und irgendwie passte mein Berufswunsch – Ägyptologin - dort auch hinein.

Damit stand ich immer abseits. Ich war eben seltsam. Meine Mitschüler konnten nicht viel mit mir anfangen, hatte ich das Gefühl. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit: wir hatten nicht viel gemeinsam. Und die schwarze Kleidung kam irgendwann dazu, um sich noch deutlicher von den anderen abzuheben und ihnen zu signalisieren: Ich gehöre nicht zu euch und ich WILL auch gar nicht!

In der Oberstufe, als unser Jahrgang durch neue Mitschüler verstärkt wurde, traf ich auf einmal auf Leute, die die gleichen Vorlieben teilten, die gleichen Bücher lasen, die gleichen Filme guckten, die das Diktat der angesagten pastellfarbenen Markenklamotten ebenso gräßlich fanden wie ich und bei denen die Top Ten nur Brechreiz auslöste. Denn was waren die geschniegelten, aalglatten Jungs von Spandau Ballet gegen Robert Smith und The Cure? „A Forest“ war und ist seitdem und immer noch mein absoluter Lieblingssong, denn der Text gibt ziemlich genau wieder, wie ich mich Mitte der 80er fühlte.



Von Gruftis und Wavern hatte ich bis dato auch schon vernommen – Bravo sei Dank!
Irgendwie passte das zu mir. Die Klamotten, der Schmuck, die robertsmithoesken Haare und die Schuhe...besonders die Schuhe! Ich verliebte mich in ein Paar Pikes, auf das ich lange sparte. Diese Liebe hat bis heute angehalten und meine ersten Pikes dürften dank einiger Nachfolger mittlerweile in Rente gehen.

Goth(ic)s gab's damals noch nicht – jedenfalls nicht bei uns – und Schwarzkittel waren tatsächlich eine Art dunkler Punks, die noch nicht viel mit dem gemein hatten, was später in die Kategorie Gothic gestopft werden sollte.
Die ersten richtigen Schwarzen lernte ich kleiner Kaffgrufti dank meiner älteren Freundin Steffi kennen, die schon einen Führerschein besaß und mich mit ins Bla nahm. Dort hingen im Bonn der 80er Punks und Gruftis (manchmal auch Ökos) gemeinsam ab. Der deutlichste und offensichtlichste Unterschied zwischen beiden Gruppen lag in der Verwendung bzw. Abwesenheit von Farbe. Gruftis trugen ausschließlich schwarze, allenfalls weiße, manchmal auch dunkelrote oder violette Kleidungsstücke. Dieser bunte Exzess stellte jedoch schon fast einen Frevel dar und wurde hin und wieder mit einem verächtlichen „Pseudo!“ abgestraft. Jaja, Mr. Dunkelschwarz (ein Waver aus der Hauptschule, der sich für den einzig authentischen Schwarzkittel der Gegend hielt) hat mir das auch einmal an den Kopf geknallt, als ich einen dunkelvioletten Rock trug. Dabei hatte ich echte Pikes aus England und war deshalb viel truer als er, HA! :D

Und dann gab's da Albert...
Angeblich hieß er so. Er sah aus wie der jüngere Bruder von Robert Smith, war schon Anfang 20 (also schon richtig alt aus meiner damaligen Perspektive) und trug schwarze, enge Lederhosen, ein weißes, flatteriges Hemd, Pikes und Nietenarmbänder. Mit Sicherheit wusste er um seine Ähnlichkeit zum Cure-Boss, denn er schminkte und frisierte sich auch so.
Ich fand ihn toll, aber himmelte ihn immer nur aus der Ferne an, hatte er doch stets seine dunkle Anhängerschaft um sich geschart. Die waren aber alle nett und man konnte sich prima mit ihnen unterhalten und diskutieren. Man hatte ja auch jede Menge Gesprächsstoff, da man sich für die gleichen Dinge interessierte und offen war für Neues. Und dann war ich plötzlich mitten drin: unter freundlichen Leuten, die mich nicht für durchgeknallt hielten, die mich ernst nahmen, die meine Vorliebe für das Alte Ägypten toll und nicht bescheuert fanden und mich durch ihre Neugier und ihre Fragen, was mich besonders daran reizte, darin bestärkten, das zu tun, was mir am wichtigsten war (und immer noch ist): meiner Passion für die Ägyptologie zu folgen.

Es mag sich jetzt schmalzig oder abgedroschen anhören, aber rückblickend auf die damalige Zeit war die Akzeptanz und der Rückhalt, den diese Leute mir - ohne es zu wissen oder zu wollen – entgegenbrachten, sehr wichtig für mich. Ich dürfte ich sein mit allen Facetten. Und ich denke, das ist auch heute der Grund, wieso ich mich in der schwarzen Szene, trotzdem sie sich im Vergleich zu damals sehr gewandelt hat, immer noch zuhause fühle.

In dem Zusammenhang möchte ich auch auf den Dreiteiler "Hassu Haarlack dabei?" bzw. den Zweiteiler "Missionierungsversuche" verweisen, in dem ich einige Erinnerungen und auch, was das Schwarzsein für mich bedeutet, konkreter schildere.