Montag, 9. September 2013

Missionierungsversuche - Teil 2

Oder wie man einen Grufti bekehrt und warum das ein sinnloses Unterfangen darstellt...


Auch die ältere Schwester meiner Mutter hatte ganz besondere Pläne für mich, die ebenfalls mit pastellfarbenen Klamotten zu tun hatten.  Deshalb bekam ich zu Weihnachten einen himmelblauen Strickpullover von ihr, den ich natürlich sofort anprobieren mußte. Alles andere wäre ja undankbar gewesen.
Die ganze Verwandtschaft - und ich habe eine riesengroße - verfiel in kollektives Entzücken. Wie gut mir diese Farbe doch stehen würde, ich sähe ganz anders aus, viel frischer, nicht so tot, blablabla...
Daß mir der blöde Pulli zwei Nummern zu klein war, bemerkte keiner.

Angesteckt von dieser Entschwarzifizierungswelle kamen meine Eltern auch einmal auf den Trichter, mir eine weiße Kunstlederjacke und himbeerfarbene Schuhe mitzubringen, deren Form mich irgendwie an die Füße Donald Ducks erinnerten...nachdem eine Straßenwalze drübergerollert war. Die Treter wären besser für meine Füße, meinten sie, als die spitzen Dinger mit dem Haufen Schnallen. Pah!!!
Der erwartete Glückstaumel meinerseits blieb aus und ein jubelndes "Toll! Danke, ihr seid die besten Eltern der Welt!" ebenso. Ich war und bin keine Meisterin der Diplomatie und auch Notlügen kommen mir selten über meine Lippen. Daß ich alles andere als begeistert von den elterlichen Mitbringseln war, hat man mir wohl angesehen und die Frage "Was soll ich mit dem Kram?" brachte meine Eltern erst recht auf die Palme. Mir wurde Undank vorgeworfen und daß ich immer nur fordern würde - Hä? Habe ich etwa nach rosaroten Schuhen gefragt? - und dann kam der altbewährte Spruch mit den Füßen und dem Tisch.
Naja, irgendwann resignierten meine Eltern und meine Mutter half mir letztendlich sogar beim Nähen und Verzieren selbstentworfener Klamotten. Nur einmal, als ich zur Nagelschere griff, um meinem kindlichen Topfhaarschnitt den richtigen Stand für den ultimativen Robert-Smith-Look zu verpassen, ist meine Mutter ausgerastet. Aber ansonsten meinten sie, daß ich mich in einer schwierigen Phase befände, und schwiegen fortan. Selbst zu meinen diversen Experimenten mit verschiedenen dunkelbunten Haarfarben.

Quelle: http://www.tumblr.com/tagged/winklepickers?before=124
Die große Angst meiner Eltern: das Kind verstümmelt sich!

Also war so weit alles o.k. - das könnte man meinen. Pustekuchen!
Kaum hatte sich die Familie so halbwegs mit ihrem schwarzen Schaf abgefunden - nicht zuletzt deshalb, weil mein heißgeliebter Opa ein Machtwort gesprochen hatte -, starteten meine Mitschüler einen erneuten Versuch, mich aus meiner selbst gewählten Isolation zu reißen. Diesmal nicht mit irgendwelchen glorreichen Vorschlägen zu Kleidung und Frisur, sondern mit einer ganz perfiden Masche: Verständnis und Einfühlungsvermögen!
Nun war ich immer schon ein Einzelgänger gewesen und meine wenigen Freunde konnte man an einer Hand abzählen. Zu der Zeit jedoch war ich ganz allein. Meine beste (und einzige) Freundin war krank geworden und zwar so schwer, daß sie nicht mehr in die Schule zurückkehrte, ein guter Freund war mit seinen Eltern ausgewandert und der andere, eher ein guter Bekannter, hatte sich quasi über Nacht dem Poppertum verschrieben.

Anscheinend hatten meine Klassenkameraden wohl Mitleid mit mir, dem armen, einsamen Geschöpf, und trachteten danach, die finstere Aura der Melancholie, die mich umgab, zu vertreiben.
Sie konnten zwar nicht begreifen, wieso ich nichts mit ihnen zu tun haben wollte, aber sie wollten wenigstens nachvollziehen können, aus welchen Gründen ich das Alleinsein vorzog und wieso ich so anders aussah und warum ich meine Fingernägel schwarz lackierte, obwohl nicht Karneval war. Das bekümmerte besonders meine Namensvetterin, die auch in meine Klasse ging, und sie gierte geradezu danach zu erfahren, wieso mir meine dunklen Fingernägel so gut gefielen, obwohl sie sie so nicht mochte. Und warum Fledermäuse von meinen Ohren herabbaumelten, obwohl das doch so eklige Viecher seien.
Sie hatten allerdings nicht damit gerechnet, daß ich nicht willens war, ihnen Rede und Antwort zu stehen und mich dafür zu rechtfertigen, wer oder wie ich bin. Ich bin ich, take it oder leave it!

Natürlich wäre es schön gewesen, ich hätte damals wenigstens einen Menschen gehabt, dem ich mich hätte anvertrauen können und der meine Zurückgezogenheit und Interessen teilte. So groß war meine Sehnsucht nach Gesellschaft jedoch nicht, daß ich mich dem aus meiner Sicht oberflächlichen Gros meiner Jahrgangsstufe anschloß. Da blieb ich lieber allein.
Nach den Sommerferien änderte sich das jedoch, als ein paar Neuzugänge zu uns stießen und wir in die Oberstufe kamen. Ich war gerade 16 geworden, als ich meine späteren Freunde traf. Zuerst war ich noch ziemlich wortkarg und mißtrauisch, aber bald schon war klar, daß ich endlich ein paar Seelenverwandten begegnet war. Klingt kitschig, aber genauso empfand ich.
Das Dunkel, das immer irgendwo in einer verborgenen Ecke meines Herzens lauert und mich manchmal und ohne eigentlichen Grund überfällt, das mich mitunter Einsamkeit und Stille suchen läßt, die düstere Seite meines Ichs, die so verstörend auf meine Mitmenschen wirkt(e), konnte ich plötzlich mit diesen Leuten teilen. Und ich brauchte noch nicht einmal ein Wort darüber zu verlieren, sie verstanden mich auch so.

So weit war also alles in trockenen Tüchern, als die Frage aufkam, was man denn nach dem Abi mit seinem Leben anstellen wolle. Meine Berufswahl stand schon seit dem Vorschulalter fest und daran war auch nichts zu rütteln.  Meine Tante meinte jedoch mal wieder, sich einmischen zu müssen und stachelte auch meine Mutter an, daß ich mir doch eine Lehrstelle suchen solle. Und sie hatte auch gleich eine für mich parat: ich sollte Bankkauffrau werden und nicht nur aus dem Grund, weil eine kaufmännische Ausbildung grundsolide und anständig ist, sondern auch, weil ich mich da ordentlich anziehen müsse. Beinahe schon hämisch erklärte sie mir die bankkauffrauliche Kleiderordnung und daß ich bestimmt wunderbar im taubenblauen Kostüm und weißen Blüschen aussehen würde. Ich sei doch so ein hübsches Mädchen, lamentierte sie, wieso ich mich denn so schrecklich zurechtmachen würde?

Weil ich mich in schwarzen Klamotten wohl- und in hellbunten verkleidet fühle? Weil ich mir so gefalle und das für mich die Hauptsache ist und nicht, ob mich andere mögen? Und mir Leute, die sich nur dann mit mir abgeben wollen, wenn ich so herumlaufe wie sie, gestohlen bleiben können?
Meine Antwort blieb meiner Tante jedoch erspart, weil mein Opa wieder dazwischenfunkte. Er hielt nämlich zu mir, mein Opa, und seine väterliche Rüge ließ seine Tochter, meine nervige Spießertante, grummelnd von dannen ziehen.

Die Gute hätte ohnehin nicht begriffen, welche Bedeutung meine Aufmachung für mich hatte und noch immer hat.  Für einen Grufti - man verzeihe mir, wenn ich jetzt verallgemeinere - ist schwarze Kleidung oder der Schmuck, den er trägt, viel mehr als ausschließlich das. Seine Erscheinung ist im Grunde ein nach außen hin zur Schau getragener Teil seines Wesens, die Enthüllung seines inner goth, ein öffentliches Bekenntnis zur Düsternis als Teil seiner Essenz, ein Symbol dafür. Daher ist es auch ein Ding der Unmöglichkeit, einen Grufti zum Normalo zu bekehren. Es wäre Selbstaufgabe.

Samstag, 7. September 2013

Missionierungsversuche - Teil 1

Oder wie man einen Grufti bekehrt und warum das ein sinnloses Unterfangen darstellt...


Jeder, der nicht dem gängigen Ideal des deutschen Durchschnittsbürgers entspricht, wird sich früher oder später mit dem Vorschlag, der Bitte oder dem Befehl konfrontiert sehen, sich doch bitteschön oder gefälligst "normal" zu kleiden und die Haare entsprechend zu stylen - entweder seitens der Verwandtschaft, der Mitschüler und der Lehrer, seitens der Kollegen oder des Chefs oder aller, die dir irgendwann über den Weg laufen und die ungefragt ihre Meinung zu deinem Aussehen äußern müssen.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als meine Mitschüler den Versuch starteten, mich in ihre Gemeinschaft zu integrieren. Das Ganze hatte nur einen Haken: ich wollte nicht!
Eine unbeirrbare Gesandtschaft der Kongregation pastellfarbener Lacosteshirtträger konnte es dennoch nicht lassen, mich auf den rechten Pfad zurückzuführen und aus der Dunkelheit hin zum Licht!
Wir hatten Sport. Aerobic. Sydne Rome. Eine ältliche Lehrerin in rosa Leg warmers, passendem Stirnband und einem dieser komischen Badeanzüge, die man über hautengen Gymnastikhosen trug. Himmelblaue Turnschuhe und Lackgürtel  mit Glitzersternchen. Ein Alptraum. Horror pur.
Die Jungs dürften Basketball spielen und Hockey, aber wir Mädchen mußten zu den ohrenbetäubenden Klängen einer Jane-Fonda-LP auf der Stelle treten und in spastischen Zuckungen zu den Rhythmen irgendeiner Disko-Pop-Tralala-Schnulze herumhampeln. Machte irrsinnigen Spaß und ungefähr so viel Vergnügen wie Brechdurchfall.

Unter Vortäuschung heftiger Kopfschmerzen - ich mußte mich noch nicht einmal anstrengen, leidend dreinzuschauen -  setzte ich mich an den Rand auf eine Gymnastikbank und muffelte vor mich hin. Da bemerkte ich, wie sich eine Abordnung von fünf, sechs Mädels im ähnlich stylischen Outfit wie die Lehrerin in mein Blickfeld schob. Als sie sich zu mir setzten und mich mit mildgütigem Lächeln von oben herab musterten, konnte ich sie kaum noch ignorieren. Es war jene Art von Gesichtsausdruck, mit dem man durchgeknallte Geisteskranke ansieht, ein wenig unsicher, aber gleichzeitig besänftigend und vorsichtig, um keine unvorhergesehene Reaktion seitens des Irren zu provozieren.
Der Irre, vielmehr die Irre war ich und ich war nicht sehr erbaut über die Störung.  Meine mürrische Miene hielt die missionswütige Schwesternschaft vom Orden der heiligen Burlingtonsocke jedoch nicht davon ab, mich anzuquatschen.
Und als sie mir im sanften Tonfall mitteilten, was der Grund ihres Überfalls war, nachdem sie sich huldvoll nach meinem Befinden erkundigt hatten (mein undeutliches Geknurre verschreckte sie auch nicht), fiel ich vor Schreck fast von der Gymnastikbank. Man wollte mich zu einer der regelmäßig stattfindenden Klassenparties einladen! MICH?!?!?! Wieso um Himmels Willen?
Man erklärte mir daraufhin und das auch wieder in einem Tonfall, als würde man mit einem minderbemittelten Kleinkind reden, daß es ja nicht anginge, daß ich immer von allen Gemeinschaftsaktivitäten ausgeschlossen wäre und es doch traurig wäre, daß ich nichts mit ihnen, meinen Klassenkameraden, zu tun haben wollte.
Hey, das hatten die immerhin mitbekommen! So doof, wie ich immer dachte, waren die dann doch nicht!

Ich muß dann allerdings ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt haben und besonders, als sie mich fragten, wieso das denn so wäre, verrutschte meine Abwehr signalisierende Miene.
"Wir haben nichts gemeinsam," brummte ich, nachdem ich meine Fassung wiedergewonnen hatte. Dieses einfache Statement fasste meiner Meinung nach gut zusammen, was Fakt und nicht zu übersehen war. Davon ließen sich die pastelligen Poppergirls jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Ganz im Gegenteil, nun fühlten sie sich erst recht angestachelt, mir zu beweisen, daß dem nicht so sei.
Wie ich das denn meinen würde, wollten sie wissen.
Sacht mal, rede ich Kisuaheli oder was? Seid ihr blind?  Das Popperpony zu lang?
Ich war versucht, in bester Tarzanmanier mit "Du rosa, ich schwarz!" zu antworten, aber schwuppdiwupp entspann sich unter den Grazien eine heftige Diskussion, daß ich mich ja nur ein wenig mehr anpassen und auf sie zugehen müßte. Die Rede war von Klamotten in freundlicheren Farben und Spandau Ballet und Duran Duran und...ach, ich weiß nicht mehr, was sie mir noch alles schmackhaft machen wollten. Irgendwann schaltete ich mein Gehör ab und ging auf's Klo.

Die Party fand ohne mich statt.

Freitag, 6. September 2013

Schulbeginn

Die Ferien sind vorbei und die erste (halbe) Schulwoche auch schon. 
Wie schön...nicht! 
Irgendwie sind die Sommerferien heute schneller um als meine damals. Naja, die Zeit ist einfach schnellebiger, neee, schnelllebiger (das sieht doch krank aus!) geworden und die Feriendauer daher wohl auch kürzer. Nein, natürlich nicht, aber mir kommt es so vor. Wahrscheinlich, weil ich es so genossen habe, nicht mitten in der Nacht aufstehen zu müssen und meinen Tagesablauf flexibler gestalten konnte. Jetzt hat uns der Alltag, der uns in ein straffes Zeitkorsett quetscht, wieder. Beide Kinder sind in die nächste Klasse versetzt worden, wider Erwarten sogar der Sohn, der wie immer reichlich unmotiviert ins neue Schuljahr startete. Wenn er sitzengeblieben wäre, wäre es auch kein Beinbruch gewesen. Ich bin im Gegenteil sogar der Meinung, daß ihm das gutgetan hätte, aber seine wohlmeinenden Lehrer haben ihn noch einmal durchgewunken. Ändert trotzdem nichts an seiner Haltung. Schule ist doof! 

Kann ich verstehen. Und ehrlich gesagt bin ich froh, heute kein Kind sein zu müssen. Die Zeit ist nämlich nicht nur schnell(l)ebiger geworden, sondern unbarmherziger, unmenschlicher, rücksichtsloser. Kinder bekommen das von Geburt an zu spüren und werden schon im Krabbelalter auf Leistung gedrillt - meistens von ihren konkurrenzgeilen Müttern, die es nicht haben können, daß ihr Baby mit neun Monaten noch keine Opernarien trällern kann im Gegensatz zu dem jüngeren Blag einer anderen Mutti aus der Pekipgruppe. Im Kindergarten geht's dann richtig zur Sache. Musikalische Frühförderung steht auf dem Programm, Ballett, Fußball, Judo, Tennis, Englisch- und Französischunterricht für Kleinkinder etc. Und das alles wird einem unter dem Deckmantel "Spiel und Spaß" verkauft. Manches Vorschulkind hat einen Terminplan, der voller ist als der eines Erwachsenen. Freizeit?  Fehlanzeige! Kreatives Buddeln in Sand und Matsch? Schreiend herumtoben? Oder einfach nur mal herumgammeln und den eigenen Gedanken nachhängen? Sich über Wiesen kullern und im Winter im Schnee wälzen? Das dient keinem Zweck und ist pädagogisch nicht wertvoll. Das Kind lernt dabei ja nichts und außerdem könnte es sich dabei schmutzig machen. Wird also gestrichen!

Dann wird das Kind eingeschult.
Die akademischen Leistungen des kleinen Menschen werden nun zum ultimativen Maßstab, an dem sich der elterliche Erfolg oder auch Versagen messen läßt. Bringt das Kind gute Noten heim, einen Pokal beim Sportfest oder eine Auszeichnung beim Mathewettbewerb, dann hat man mit seiner Erziehung alles richtig gemacht. Daß das Kind Selbstbehauptungskurse besuchen muß, wo sein nicht vorhandenes Selbstbewußtsein aufgebaut wird, ist belanglos. Daß sich das Kind aus Angst vor anderen Kindern, die auf dem Pausenhof etwas ruppiger spielen, hinter einem Busch versteckt, ist selbstverständlich die Schuld der anderen Eltern, die ihre Sprößlinge nicht im Griff haben.  Klingt übertrieben, entspringt jedoch nicht meiner Phantasie!
Dem Kind als Zentrum des eigenen Universums, um das sich alles Denken und Handeln dreht, wird damit eine Rolle aufgebürdet, die so schwerwiegend ist, daß ich mich frage, wie liebende Eltern ihrem Nachwuchs so etwas überhaupt antun können. 

Mein Mann und ich sind in den Augen dieser Eltern Versager. Dabei verfolgen wir nur andere Ziele für unsere Kinder und ein anderes Erziehungskonzept. Und das ist schlimm!
Wehe, Kind entspricht heute nicht der Norm! Wehe, Kind besitzt Phantasie und gibt sich gerne kreativen Freizeitbeschäftigungen hin! Freizeit ist ohnehin ein ganz böses Wort. Freie Zeit - das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Frei - das könnte ja etwas mit Entspannung, Nichtstun und Zwanglosigkeit zu tun haben. Anarchie!

 Quelle: http://www.medical-tribune.de/medizin/medizin-cartoons/kinderheilkunde/1283.html

Nein, was heute nicht der Norm entspricht, ist krankhaft und muß therapiert werden. War bei uns damals Legasthenie die Modekrankheit - wer mehr als zwei Rechtschreibfehler in einem Diktat hatte, war verdächtig -, so wird heute ADHS inflationär diagnostiziert.  Wibbelt man mal im Unterricht mit dem Stuhl und spielt mit seinem Radiergummi herum, weil einen die Ausführungen des Physiklehrers langweilen, hat man ADHS und braucht Ritalin, um den Pädagogen nicht in seiner Arbeit zu stören. Ganz furchtbar ist es auch, wenn die Schulnoten nicht den Ansprüchen der Eltern genügen. Aber auch dann hilft dieses Koks auf Rezept, das quasi als eine Art Hirndoping wirkt. Hauptsache, das Kind funktioniert - und zwar in allen Bereichen! Individuelle Begabungen und Interessen? Danach fragt heute niemand mehr. Und so traurig es ist, selbst viele Eltern scheinen ihre Kinder unter dem wachsenden Druck unserer Leistungsgesellschaft nicht mehr so annehmen zu können, wie sie sind, und unfähig oder nicht willens, die Talente ihrer Sprößlinge zu erkennen und in dem Maß zu fördern, wie es dem Können des Kindes entspricht. Nicht in jedem Kind steckt ein Genie, geschweige denn ein Universalgenie! Aber sagt das mal dem Gros der Eltern, die fest davon überzeugt sind, daß ihr Sproß ein zukünftiger Nobelpreisträger ist! 


Quelle: http://www.legasthenie-reutlingen.de/englisch.html


Was bin ich froh, daß ich kein Kind mehr bin! Wahrscheinlich hätte ich die Megadröhnung Ritalin bekommen, denn ich, die schon optisch nicht dem Durchschnittsschüler von damals entsprach, verbrachte den langweiligen Matheunterricht damit, Hieroglyphen zu malen und Pyramiden, kippelte gerne mit meinem Stuhl herum und habe jetzt noch Schwierigkeiten, lange stillzusitzen. Nur wenn ich altägyptische Texte übersetze, kann ich Geduld und Ausdauer aufbringen. Hieroglyphen sind mein Ritalin!

Tja, was mache ich aber nun mit meinem Sohn, der ein ganz normales Kind ist und sich für Sachen interessiert, die nicht in der Schule gelehrt werden? Wäre ich eine Weißkittelanbeterin und den goldenen Worten der Lehrerschaft hörig, dann würde mein Sohn schon seit Jahren Ritalin bekommen. Das hat mir seine Mathelehrerin in der Grundschule allen Ernstes mal vorgeschlagen, aber als ich ihr beinahe an die Kehle gesprungen bin, hat sie sehr schnell davon Abstand genommen :D
Ich schwanke also immer noch zwischen mütterlicher Sorge und der Frage "Was soll nur mal aus dem Jungen werden?" und der Gewißheit, daß er genug von uns, seinen Eltern, gelernt hat, um seinen Weg zu machen. Aber den muß er erst einmal finden und ich halte es für wichtiger und richtiger, daß er den Anfang dazu selbst entdeckt und wir ihm nicht befehlen, wohin er laufen soll. Wir sind nur seine Begleiter auf seinem Lebensweg, aber nicht diejenigen, die ihm die Richtung vorgeben...