Sonntag, 3. August 2014

Amphi 2014 - Reflektionen eines 80er Jahre Relikts

Die Euphorie, die der erste Tag auf dem Amphi hervorgerufen hatte, hatte sich am Sonntagmorgen etwas gelegt und während das Kreppeisen aufheizte und auf seinen Einsatz wartete, reflektierte man die gestrigen Erlebnisse. 
Einiges fand ich 80er Jahre Relikt, da ich nun über den rostigen Gitterzaun des heimischen Friedhofs blickte, sehr befremdlich. Die Szene, die ich in Erinnerung habe, hat sich doch sehr verändert, zumindest optisch.
Einige Besucher trugen kunstvolle Verkleidungen und aufwendige Kostüme, als seien sie einem Fantasyfilm entsprungen oder hätten sich auf dem Weg zum nächsten LARP verlaufen. Andere schmückten ihr Haupt mit in Streifen geschnittenen Mülltüten, Absperrbändern und Gartenschläuchen und waren wie schrille Paradiesvögel oder Sahnetörtchen in Weiß und Pink oder sonstwie bunt gewandet. Äääääh...schwarze Szene? Schwarz? Diese dunkle Unfarbe?

Liebe Piratenbräute, Steampunks, Cybers und andere Farbfetischisten, nein, ich habe wirklich nichts gegen euch, ich kenne keinen von euch persönlich, aber habt Erbarmen mit einer alten Tucke wie mir, die euer Styling einfach merkwürdig findet. So unschwarz und ungruftig. Und ein Cybergothpunkwhatever (wie nun genau bezeichnet ihr euch?) erinnert mich irgendwie an das, was 'rauskommen könnte, wenn man einen Predator und einen Tribble kreuzt und mit Neonfarbe besprüht. Ihr seid mir einfach fremd - jedenfalls euer Outfit.
Naja, vielleicht sind ja die Seelen dieser Quietschbunten so tiefpechrabenschwarz, daß sie das Äußere wieder ausgleichen? Interessieren würde es mich ja schon, ob sich diese Leute, die sich so auffällig kleiden, zur schwarzen Szene zugehörig fühlen und wenn ja, wo sie die Gemeinsamkeiten zu den Friedhofsgängern, wie ich einer bin, sehen. Falls es die überhaupt gibt, die Gemeinsamkeiten...
Mir ist schon klar, daß die Szene nicht mehr so übersichtlich und homogen ist wie vor einem guten Vierteljahrhundert.

"Ok", erklärte ich dem Töchti, das diese Buntis ebenfalls merkwürdig fand, "wenn sich die Leute in diesen Outfits so gefallen, sollen sie die doch tragen. Wie wir herumlaufen, ist auch nicht jedermanns Sache." Es gab da einen Zwischenfall auf dem Amphi, da jemandem meine Pikes auffielen und er sich darüber wunderte, da er schon lange keine mehr gesehen hätte. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und stellte fest, daß ich wohl ein richtiger old school Grufti wäre (ich fühlte mich da doch geschmeichelt, in die Schublade gesteckt zu werden, in der ich mich am wohlsten fühle). Und dann kam's...
"Das ist doch total out", sagte er. Grrrrrrrr!!!!!!!!
Ich unterdrückte den ersten Reflex, ihm freundlich eins hinter die Löffel zu geben  - die schwarze Szene ist ja so friedliebend, jawoll! - und erwiderte ruhig, daß er ja wohl nicht uptodate sei, die 80er wieder schwer im Kommen und Pikes ohnehin nie out gewesen seien. Dann gingen wir. 
Diese Bemerkung, die ich, um es mal klarzustellen, nicht als Verunglimpfung - höchstens im allerersten Moment - oder Kritik empfand, war wohl eher ironisch gemeint, kam sie doch von jemandem, der in den 80ern bestimmt älter war als ich und auch keine hippen Gartenschläuche auf dem Kopf oder Cupcaketäschchen am Gürtel trug.

Der Großteil der Besucher jedoch war den Temperaturen angemessen und völlig normal schwarz *hüstel* gekleidet. Ins Auge stachen mir dann doch wieder ein paar Typen, die Uniform trugen. Wohlgemerkt, ich meine jetzt keine Mädels, die aussehen wie freundliche PanAm-Stewardessen oder Typen, die einen auf Top Gun in Schwarz machen, sondern die, die richtige Uniformen tragen (wenn ich mich nicht irre, lief u.a. einer in NVA-Klamotte herum) oder solche, die an die gewisser Organisationen aus der Zeit zwischen 1933 - 45 erinnern und die in Deutschland schlicht und einfach verboten sind. Und nein, es reicht eben nicht, nur die Hakenkreuze wegzulassen, Abatz 2 von § 86a StGB zum "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" lautet: "Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind." Dazu gehören auch die Uniformen der HJ, SS, Waffen-SS oder SA. 

Da mein Gatte reenactet und ich weiß, welch sensibles Thema diese Uniformgeschichte ist und wie man damit in der Reenactment- bzw. WK2szene verfährt, erstaunt, ja erschreckt es mich um so mehr, wie lax mit dieser Problematik in der schwarzen Szene umgegangen wird. 
 Von "Wir sind ja so tolerant" *lalalala* über vollkommenes Unwissen, was die entsprechende Rechtslage in Deutschland angeht, bis hin zu "Wenn hier jetzt schon, in unserer scene, über den klamottenstil gestritten wird, dann ist es so weit. klar, auch ich sehe einige in "uniformen" die asotiationen wecken könnten, aber bisher dachte ich, das geschieht meist, bei dem "normalen" teil der bevölkerung." (Zitat aus einem der Threads von der FB-Seite des Amphifestivals, wo dieses Problem zur Sprache kam. Die Fehler sind nicht von mir *GG*) findet man beinahe alles an Ist-mir-egal-Attitüden.
HALLOHOOOOO? Geht's noch? Sagt mal, tickt ihr noch ganz sauber? Oder hat euch das Dogma der szenetypischen Friedfertigkeit und Toleranz schon das Hirn zu sehr aufgeweicht, daß ihr alles widerspruchslos hinnehmt? Kopf -> Tisch
Nein, ich möchte keinem Typen in HJ-Klamotte auf einem schwarzen Festival über den Weg laufen, keinem Pulk in SS-Uniformen oder Outfits, die daran erinnern! Leuten, die solche Klamotten tragen, unterstelle ich auch eine solche Gesinnung oder zumindest eine gewisse Nähe zum rechten Rand unserer Gesellschaft. Provokation ist schön und gut oder der Wunsch, Finsternis und Untergang darzustellen. Aber das kann man mit ein wenig Kreativität auch anders. 
Dieser Weg ist m.E. kein geeigneter, da er eine eindeutige politische Haltung zum Ausdruck bringt. Und war die schwarze Szene eigentlich nicht immer unpolitisch?
Nicht das schwarze Individuum an sich, aber die Szene im Großen und Ganzen folgte doch nie einer bestimmten Richtung und ordnete sich einer politischen Organisation unter, weder äußerlich noch ideell.  Ist das jetzt anders - zumindest bei einem Teil der Szene?

Meine Schmerzgrenze (und wohl nicht nur meine, wie etliche Posts auf FB belegen) ist jedenfalls bei weitem überschritten worden...
Ich kriege Magendrücken bei diesem Anblick und das nicht nur, weil ich mich daran erinnert fühle, daß die Rechten früher (also in meiner Jugend) gerne loszogen, um "ein paar Schwarze zu klatschen" und auch mal krankenhausreif schlugen. 
Ich empfinde es als eine ausgesprochene Verunglimpfung und Verhöhnung der Opfer dieser Epochen der deutschen Geschichte - sowohl die Zeit des Dritten Reichs als auch die der DDR -, wenn diese Uniformen als Kostüm von solchen Spaßvögeln getragen werden, denen die nötige Sensibilität fehlt, um zu erkennen, welch menschenfeindliche Haltung sie damit zum Ausdruck bringen. 

Ohnehin finde ich es seltsam, daß Uniformen oder Uniformteile zu Stylingelementen in der schwarzen Szene geworden sind. Uniform ist doch etwas, was wir nie sein und nie tragen wollten, oder?
Paradox...

Glücklicherweise konnte man diese Typen aber an einer Hand abzählen.
Kurioserweise und möglicherweise, weil die Security aufgrund einer ungenauen Anweisung von oben nach Gutdünken entscheiden konnte, was als bedrohlich, Waffe oder Waffenattrappe galt, wurde diesen Typen Zutritt zum Festivalgelände gewährt. Bei manchen WK2-Reenactments ist es hingegen schon vorgekommen, daß die Polizei nach dem Rechten (oder vielmehr den Rechten) gesehen hat oder der Veranstalter Besucher in entsprechender Klamotte vom Veranstaltungsgelände entfernen ließ, da die anderen Teilnehmer mit Personen, die eine derartige Gesinnung zur Schau trugen, nicht in einen Topf oder gar zusammen fotografiert werden mochten.

Friedliche Gruftis mit Nietenhalsbändern - damit könne man jemanden ja ein Auge ausstechen - mussten jedoch draußen bleiben, obwohl man eben solchen Schmuck auf dem Amphi käuflich erwerben konnte.
Muß man nicht verstehen...
Demnächst bleiben dann auch die Cybers draußen, die ja mit ihren Plastikschläuchen jemanden erwürgen könnten. Und Killernieten, KILLERnieten stellen ja schon aufgrund ihres Namens eine Gefahr für Leib und Leben dar...
Wahrscheinlich sind die Pikes heutzutage deshalb auch nicht mehr so spitz wie früher. Man könnte damit ja jemandem ein Loch ins Schienbein treten...  

Jetzt habe ich mich so lang und breit über diese wenigen negativen Momente auf dem Amphi ausgelassen, daß man beinahe glauben könnte, mir hätte das Festival überhaupt nicht gefallen. Hat es aber! Sogar sehr!
So sehr, daß ich meinen Geburtstag nächstes Jahr wieder dort feiern werde.
Ja, auch 2015 findet das Amphi genau dann statt :D 

Die vielen positiven Eindrücke überwiegen einfach und deshalb sehen wir uns in einem Jahr in Köln wieder...
Und bitte ladet doch auch She past away nochmals ein! 

5 Kommentare:

  1. Diese Nachtmahr und Konsorten- Fanheinis in Opas alter Naziuniform regen mich auch immer wieder aufs Neue auf.
    Fantasieuniformen oder ähnliches - ok, find ich manchmal sogar recht ansehnlich. Aber immer diese SS/Wehrmachtsuniformen...was soll das?
    Unangenehm, respektlos und nicht mit Aussagen wie "Aber das ist halt voll stylisch und ich bin deshalb bestimmt kein Nazi!!" wettzumachen.

    Und was kostümierte Neon Cyber, Mode Fetishler, Cosplayer , etc. so an der schwarzen Szene und ihren Festivals anzieht, frag ich mich auch immer :P

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    1. Tja, über die Frage, was Cyber & Co und die schwarze Szene verbindet, grübele ich schon lange. Die Musik? Hmmm.... Das glaube ich allerdings auch nicht so recht. Oder weil die schwarze Szene - Stichwort Toleranz - jeden Heimat- äh Szenelosen mit offenen Armen aufnimmt? Oder verstehen die sich als eigene Szene innerhalb der Szene?
      Falls ich mal wieder einen Cyber treffe, frag' ich ihn einfach! :D

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  2. Viele dieser "Splittergruppen" verstehe ich auch wirklich nicht und finde ich auch einfach nicht ästhetisch. Aber jedem das seine...
    Ich war noch auf keinem der großen schwarzen Festivals, gucke mir aber immer gern die Fotos der Besucher, die es in diversen Bildergalerien gibt, an. Und manchmal erschrecke ich: Möchte ich wirklich zu einem Festival, wo solche Leute hingehen? Was haben die denn mit mir gemeinsam?
    Und von diesen Typen in Uniformen rede ich erst gar nicht. Das ist für mich einfach nur beschämend und ich spreche mich immer gegen Rassismus aus.
    Ich gehe jedes Jahr mit Stolz auf ein kostenloses Festival gegen Rassismus, das meine Heimatstadt Potsdam organisiert. Dort treffen sich friedlicher Weise die Jugendlichen diverser Subkulturen, sowie junge Eltern samt Kinder und auch ein paar ältere Leute. Schon seit Jahren traut sich kein Neonazi diese Veranstaltung zu stören. Schon seit Jahren werden NPD-Umzüge in Potsdam von der gesamten Bevölkerung boykottiert.
    Also weigere ich mich solche Leute in meinem kulturellen Zuhause (der schwarzen Szene) zu dulden!

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    1. Die Fotos vom Amphi z.B. spiegeln ein völlig falsches Bild von den Besuchern wider.
      Grundsätzlich wird nicht der Otto Normalgoth ;) fotografiert, sondern beinahe ausschließlich Quietschbunte in ihren auffälligen Kostümen. Die ganze Berichterstattung wird dann mit launigen Bemerkungen wie "Es gibt sogar einige, die Goth im Alltag leben." garniert und schon hat sich der Eindruck verfestigt, daß es sich beim Schwarzvolk um einen mehr oder weniger dunklen Karnevalsverein handelt und beim Amphi um eine Karnevalssitzung außerhalb der Saison. In diesem Sinne: Goth Alaaaaaaf!

      Was das Tragen von Uniformen angeht, so ist die Szene kein rechtsfreier Raum, auch wenn das einige Toleranzjünger wohl gerne so hätten. Da sind mir dann pinkfarbene Cybers 1000x willkommener als so ein Spacken in HJ-Klamotte o.ä.

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  3. Du sprichst mir aus den tiefen meiner schwarzen Seele :-) absolut

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